Nach meiner letzten Teilnahme im Jahr 2011 an PBP war es diesen August wieder soweit und die nunmehr 18.Edition des Klassikers stand auf meinem Programm. Nachdem ich vor vier Jahren erstmal das Event kennengelernt hatte und nur so halbwegs zufrieden mit meinem Ergebnis gewesen war, wollte ich diesmal versuchen, die reichlich 1200km effektiver zu bewältigen, die anstrengende dritte Nacht nach Möglichkeit zu vermeiden und im Idealfall unter 50h zu bleiben.
Gemeinsam mit Björn von der Dresdner Elbspitze, mit dem ich schon einige brevets gefahren bin, geht es also auf einen Zeltplatz in Versailles, der zu dieser Zeit fest in der Hand der radfahrenden Zunft ist. Björn’s Name wird hier noch ein paar mal auftauchen; hat er doch sensationell und als erster Deutscher überhaupt ein PBP gewonnen.
Immer wieder wird gefragt: Ist PBP ein Rennen? In seiner Anfangszeit war es das ganz klar; später gab es im Laufe der Geschichte verschiedene Aufteilungen in Amateure und Profis, bis die Profis wegblieben. Heute ist es das, was jeder für sich daraus macht. Der Veranstalter selbst unterscheidet die Teilnehmer auf seiner website grob zwischen „vedettes“ und „tourists“ , also einerseits Teilnehmern, denen es auf ihre Zeit durchaus ankommt und solchen, die einfach nur die lange Distanz innerhalb des Zeitlimits schaffen wollen, was schon Anspruch genug ist. Es gibt eine genaue Transponderzeitmessung, jedoch keine Siegerehrung. Und nach wie vor ist es erlaubt, daß Teilnehmer an den Kontrollstellen sich von ihren eigenen Helfern unterstützen und versorgen lassen können um Zeit zu sparen, sofern man diesen Aufwand treiben möchte.
Björn und ich haben uns im vordersten Startblock A angemeldet, um vom Start weg gut positioniert zu sein. Im Abstand von je 15min folgen weitere Startblöcke mit je 250 Fahrern. Helfer haben wir nicht-dem einzig wahren Randonneursgedanken entsprechend. Gemeinsam mit Olaf, dem Organisator der Sächsischen brevets, sind wir 45min vorher da, werden am neuen Velodrom unserem Startblock zugewiesen und haben vor dem Start noch etwas Zeit für die letzten Dinge. Nahezu alle Fahrer der ersten Startblöcke sehen nicht so aus, als ob sie das 80h-Limit ausschöpfen wollten. Größtenteils mit nur wenig Gepäck-die Wettervorhersagen hatten nicht besser sein können- manche auch nur mit etwas in den Trikottaschen-also Fahrer mit Helferunterstützung – Rennatmosphäre stellt sich durchaus ein.
Punkt 16Uhr erfolgt mit großer Ansage und viel Publikum unser Start am Velodrom. Neutralisert, wie es heißt, aber das Tempo stellt sich schnell nahe 40 ein und wir verlassen die Pariser Vororte. Vor uns das Führungsfahrzeug, nebenher Motorräder und das übliche Positionsgerangel im Feld-kaum zu unterscheiden von anderen kürzeren Rennen. So hatte ich PBP 2011 nicht erlebt und von Anfang an ist bei mir Adrenalin im Blut. Konzentration ist gefragt. Das Auf und Ab des Streckenprofils beginnt auch sogleich, und mit gesammelten Kilometern und Höhenmetern fallen nach und nach erste Fahrer aus dem Feld. In Mortagne (km 140) ist auf dem Hinweg in Ri Brest noch kein Stempel zu holen, man hat aber die Möglichkeit, vor allem Getränke nachzuladen. Wir haben jedoch vorsorglich jeder 3 Flaschen und genug Eßbares dabei, sodaß wir mit vielen anderen ohne Stop durchfahren können. Dem aufmerksamen Auge entgeht unterdessen nicht, daß sich im Feld mittlerweile auch Fahrer aus Block B tummeln, obwohl unser Schnitt jetzt bei 35 liegt und noch volle 1000km zu fahren sind. Dazu gehört auch Marko Baloh, auf den Björn mich aufmerksam macht und der das RAM schon 5x absolviert hat. Taktische Manöver also, die 15min Vorteil bringen, wenn sie aufgehen. Kurz vor der ersten Stempelstelle in Villaines (km 220) ist das Positionsgerangel um gute Plätze deutlich zu fühlen und als die Kontrolle erreicht ist, zeigt sich die zweite Seite des Rennens: wie schnell schaffe ich es, meinen Stempel und alles andere nötige zu bekommen bzw. loszuwerden und dann möglichst unterbrechungsfrei weiterzufahren? Die Antwort: Alle mit Helfer (d.h. nahezu die gesamte noch verbliebene Gruppe) wohl in 2min und darunter, da die Helfer die Räder ihrer Schützlinge mit neuen Flaschen beladen, die Beleuchtung zurechtmachen usw und Essen für sie griffbereit haben. Alle anderen brauchen länger, so auch Björn und ich. Als ich aus einer Dixie Toilette wieder herauskomme ist es schon verdächtig still und als ich kurz danach mit wieder aufgefüllten Flaschen und Stempel im Heft wieder an meinem Rad bin, ist außer mir und einem Österreicher keiner mehr da…… irre, so hektisch hatte ich mir das nicht vorgestellt. Björn erzählt mir später, daß er kurz vor mir allein die Verfolgung des Feldes wieder aufgenommen hat (und daß sich dieses Spiel für ihn noch mehrmals wiederholte); ich fahre die folgende Etappe mit dem Österreicher komplett zu zweit, aber das Feld erreichen wir nicht mehr. In Fougeres (km 307), schon mitten in der ersten Nacht, schließen wir auf einige zurückgefallene Fahrer der vorderen Gruppe auf, machen etwas weniger Hektik, kaufen etwas zum essen und fahren als kleines Grüppchen weiter bis Tinteniac (km 361). Hier kommt schon allmählich die Morgendämmerung, aber zu meiner Freude habe ich nicht mit Müdigkeit zu kämpfen, sondern nur mit Kälte, aber ein langes Trikot zum drüberziehen, Knielinge wie auch lange Handschuhe habe ich dabei und es kann weitergehen. Wie vom Wetterbericht versprochen kommt der Montag wieder mit blauem Himmel und perfekten Temperaturen und wir nähern uns Loudeac (km 446). Dort beschließe ich, ein Frühstück zu mir zu nehmen, da meine Vorräte inzwischen restlos aufgebraucht sind. Da noch nicht so viele Fahrer hier angekommen sind, geht das ganz zügig und bald fahre ich mit einer neuen Gruppe weiter in Ri Brest. In Saint Nicolas (km 492) haben die Veranstalter wieder einmal eine der legendären Geheimkontrollen eingebaut, um sicher zu stellen, daß niemand abkürzt. Wir holen nur schnell die Stempel und weiter geht es. Mit einem Australier, der zu uns aufschließt, einem Litauer und einem Norweger fahre ich nun längere Zeit gemeinsam. Unsere kleine Gruppe harmoniert gut und wir beschließen, möglichst zusammen zu bleiben. So geht es erst mal zur letzten Kontrolle vor der Wende, nach Carhaix (km 524). In den Pausen scheint die Zeit immer doppelt so schnell zu vergehen und nach kurzer Rast im Restaurant mit großem Angebot dränge ich zum weiterfahren. Wenn wir unsere Geschwindigkeit halten sollten, würden wir in weniger als 24h wieder aus Brest heraus sein, das kam meinem Plan entgegen. Vor Brest wird die Landschaft nahezu gebirgig und die ersten 5000hm sind absolviert, bevor es hinunter in die Stadt geht. Just an dieser Stelle kommt uns der erste Radfahrer entgegen, es ist Björn. Er erkennt mich und ruft mir freudig zu „ich hab’s geschafft, ich bin vorn und ich bin allein!!!“ Das ist seine Welt und er sollte es tatsächlich schaffen, im Alleingang seiner Verfolgergruppe, größtenteils mit Helfern, auf den „restlichen“ 600km volle 45min abzunehmen!
Nach knapp 22h erreichen auch wir die Kontrollstelle nahe der Atlantikküste bei km 614. Eine etwas längere Pause deutet sich an; zum einen, weil hier lange Wege zu laufen sind und zum anderen, weil Rimas, unser Litauer, etwas medizinischen support braucht. Was hilft’s, nach gut 45min fahren wir wieder und sind nun auf dem Rückweg. Erneut in Carhaix (jetzt km 697), mache ich einen Fehler, wie ich später feststelle, denn ich nutze die dort noch vorhandene Ruhe nicht aus, um mich mit Essensnachschub zu versorgen. Auf dem Weg nach Loudeac (jetzt km 780) kommt uns in der beginnenden Dunkelheit der zweiten Nacht schon eine schier endlose Reihe nach uns gestarteter Fahrer mit ihren Lichtern entgegen. Dort angekommen, bekomme ich Krisenstimmung: Was auf dem Hinweg ein verlassen wirkender großer Schulhof war, ist jetzt eine Art prall gefüllter und lärmender Rummelplatz mit Hunderten von Radfahrern, Helfern und Zuschauern. Ankommende und wieder abfahrende Radfahrer, solche die einen Schlafplatz suchen und solche, die sich beim Essen stärken und kein freier Quadratmeter Platz. Erstes Problem: Wo stelle ich mein Rad ab? Als ich endlich einen Platz gefunden habe, hole ich meinen Stempel, was noch schnell geht, aber das dicke Ende kommt zuletzt und bis ich endlich was gegessen habe, ist wieder fast eine Stunde vorbei. Nachher ist man eben klüger. Meine bisherigen Mitstreiter habe ich in dem Getümmel verloren; allein und leicht frustriert mache ich mich auf den weiteren Weg nach Tinteniac (jetzt km 865). Zum Glück treffe ich später auf eine Gruppe deutscher Fahrer, die das gleiche 50h-Ziel hat wie ich. Noch fast 400km ist der Rückweg lang, aber erfreulicherweise plagt mich nach wie vor keine Müdigkeit. Wir fahren über die schon bekannten Stationen Fougeres, Villaines und Mortagne (jetzt km 1090) und rechnen unterwegs schon mal vorher durch, wie lange Pausen wir uns in den Stationen leisten können. Die Zeit ist ausreichend, wir nutzen sie aus. Als letzte Kontrolle kommt Dreux (km 1167), wo wir noch mal eine kurze Trinkpause einlegen und von wo aus es noch ganze 64km bis zum Ziel sind. Mein Körper verlangt nun langsam auch Ruhe; besonders die Hände bereiten Schmerzen. Am Ende schaffen wir eine kalkulierte Zielankunft wie vorgesehen gerade unter 50h und laben uns hinterher gemeinsam im Velodrom an der Zielverpflegung. Viel ist hier jetzt noch nicht los; es sind gerade einmal reichlich 50 der insgesamt mehr als 6000 gestarteten Fahrer vor uns angekommen, einen Tag später dagegen herrscht hier Stimmung. Björn ist natürlich längst wieder auf dem Zeltplatz, er hat die Distanz in sensationellen 42,5h geschafft und allen gezeigt, daß man auch ohne Helferteam erfolgreich sein kann – mein großer Respekt vor dieser Leistung!
Mein Resümee: PBP hat sich wiederum als sehr gut organisierte Veranstaltung gezeigt, und das Erlebnis macht verschiedene unterwegs zu ertragende körperliche Probleme wieder wett. Besonders die idealen Wetterbedingungen hatten dieses Jahr äußerst günstigen Einfluß und hätten mir wahrscheinlich auch eine Fahrzeit von weniger als 2 Tagen zulassen können, aber das wäre dann wohl schon eine Vision für 2019.
Martin