Nichts Neues im Westen

Großen Literaten soll man ja zustimmen – die werden schon Recht haben, und außerdem wirkt es gebildet. Deshalb halte ich es an dieser Stelle mit dem Erich Maria und sage: Nichts Neues im Westen, alles beim Alten hier im Elsass. 
Kann man trotzdem was drüber schreiben. Hat Erich Maria ja auch gemacht.
Montag früh, gegen halb zehn in Schiltigheim. Die Uni fängt, ohne eine einzige Stunde schwänzen zu müssen, erst halb drei an. Draußen sind fünf Grad und kein Regen, ideales Wintertrainingswetter. Kurze Hose in der Zwei sitzt nach Weihnachten immer noch – mit Blick auf Ostern sehr beruhigend. Lange Winterhose zum drüberziehen in der Fünf spannt wie jeden Tag aufs Neue, aber irgendwann legt man die Verwunderung darüber einfach  ab. 
 
 
Schon komplett angezogen wird sich heute über etwas Anderes gewundert: Wie viele Brustgurte habe ich eigentlich für meine ganzen Pulsuhren und Fahrradcomputer? Eigentlich nur einen. Aber wem gehört dann der dort auf dem Tisch? Meinem Mitbewohner? Kann nicht sein. Ich habe ja gar keinen.  Jemandem aus der Familie? Kann nicht sein, Familie habe ich zwar, aber die machen alle keinen Sport. Hmm, dann ist es meiner. Och nee. Funktioniert der eigentlich auch, wenn man ihn über … ach was, das sieht blöd aus – und außerdem meckern die Sponsoren.
Endlich auf dem Rad sitzend geht es erst einmal an der Uni vorbei. Wie jeden Tag im Training die gleiche Strecke raus. Erster entscheidender Kreisverkehr nach 5 km. Verdammt, wo will ich eigentlich hin? Geradeaus, rechts, geradeaus, rechts, geradeaus … oh, rechts ist schon vorbei. Naja, dann geht’s eben über Oberhausbergen raus. Dafür kann ich ja dort rechts fahren. So zum Ausgleich. Also über Quatzenheim, cool, dort gefällt es mir. In dem Ort danach einfach mal links – sehr schön, alles dabei. Geradeaus, rechts, links, sehr abwechslungsreich. 
Mit ähnlich gewichtigen Gedanken im Kopf schrecke ich in Fessenheim-le-Bas aus meinem Halbschlaf. Ein Hund. Und der bellt ganz schön. Und der klingt vor allen Dingen ganz schön unangeleihnt. Naja, sind ja alle Gartentore zu hier. Bis auf das ganz dort vorne. Da kann man ja beruhigt sein. Der Hof müsste ganz schön groß sein, wenn der freilaufende Hund und das offene Gartentor dort auf einem Grundstück sein sollten. Jetzt rennt der um irgendein Haus herum. Das ist aber ein großes Haus … das ist aber ein großes Grundstück … das ist aber ein großer Hund. 
Die gute Nachricht: zwischen mir und dem rennenden und kläffenden Hund ist ein Tor. Die schlechte Nachricht: es ist tatsächlich das offene.
Aber, wie wir alle wissen, ein guter Wachhund macht an der Grundstücksgrenze Halt. Allerdings dämmert mir langsam, dass ich keinen einzigen Beleg dafür habe, dass es sich bei diesem für mich unbekannten Hund um einen guten Wachhund handelt. Und natürlich stellt sich heraus: es handelt sich um einen äußerst schlechten Wachhund, wenn überhaupt noch Wachhund. Nach seinem Satz über den viel zu schmalen Bürgersteig und die viel zu schmale Straße, entscheide ich für mich dafür a) ihn aus der Kategorie Wachhund in die Kategorie elender Köter zu stecken und
b) das große Kettenblatt aufzulegen, denn für so einen großen Hund ist mein Gang ganz schön klein.
Nach wüsten „Du Arschloch“-Rufen meinerseits, die den Hund seinerseits zusätzlich anspornen, wird mir klar, dass „Sitz!“ vielleicht ebenfalls unpassend ist. Der war ja schließlich, wenn überhaupt, auf einer französischen Hundeschule. Von hier aus beurteilt dort wahrscheinlich auch mehrmals sitzengeblieben. Schöner Wortwitz, hilft jetzt aber wenig.
Nach einem schier endlosen Sprint kapiert der Hund endlich, dass ich zu schnell für ihn fahre. Und zwar von ihm weg. Aus Angst. Das beruhigt ihn. Und das wiederum beruhigt dann auch mich.
Weniger Beruhigendes ereignet sich eine Stunde später. Zwei Straßen. Ich will die rechte nehmen. Nach fünf Minuten wundere ich mich, wieso der nächste Ort so zeitig kommt und so anders aussieht. Und was dieser Kreisverkehr hier eigentlich macht. Eine Prellung im Beckenbereich, einen besorgten Zuruf von Passanten („Ist mit Ihnen alles in Ordnung?“) und eine wieder aufgelesene Trinkflasche später wird mir klar, dass ich natürlich die falsche Straße genommen habe und dass bei meinem Sturz die gesamte Kleidung Gott sei Dank heil geblieben ist. 
Das alles bietet genug Denkstoff für die restlichen 30 km.
Der Herr Remarque wird es verzeihen, dass seine Weltliteratur für so etwas banal daher Geschmiertes den Rahmen bilden soll, aber ihr seht: alles wie immer, ganz normal, ganz alltäglich, ihr werdet es alle kennen; eben Nichts Neues im Westen.

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