+++ Hitzeschlacht im Engadin +++ Franzi gewinnt Gesamtwertung des CHIBA Alpencup & wird drittschnellste Dame des Tages +++ Matze erhöht seine Jahreskilometer um 20 % und wird 11. +++ Christian & Martin gemeinsam unterwegs & zufrieden in der Gesamtwertung unter den Top 20 +++ Angie & Uwe halten sich schweren Herzens an die Streckenführung der kurzen Runde & empfangen alle Langstreckler im Ziel +++ Ludwig hält sich Revanche mit Albula-Pass offen +++ Dima erklimmt mit 39x19 die höchsten Berge - "21er is Reserve!" +++ Jantel überrascht mit ungewöhnlichen Regenerationspraktiken +++ Picardellics auf Platz 3 in der Alpencup-Gesamtwertung +++
„Du gehst?"
„Ich gehe!"
Maria H. beugt sich nach unten, schnürt ihre weißen Joggingschuhe, gibt ihrem Franz einen flüchtigen, aber zärtlichen Kuss auf die Wange und verlässt wie jeden Sonntagmorgen gegen um neun ihr trautes Heim in einer friedlichen Siedlung im Osten Dresdens. Es scheint, als sollte es einer dieser vielen, immer gleichen Sonntage werden, an denen Maria versucht, im Laufschritt ihrem grauen Alltag zu entfliehen, bevorzugt im Großen Garten, dem Vergnügungspark gestresster Dresdner.
Ihr war unwohl zu Mute, doch wie richtig sie mit ihrem mulmigen Gefühl lag, konnte Maria nicht einmal erahnen.
Die eine oder andere Stunde eher, im schweizerischen Zernez, einem malerischen Ort, gelegen in mitten von Bergen im Urlaubsparadies Graubünden.
So friedlich die Szenerie, so sollte sie doch nicht über ein altes, viel gebrauchtes Sprichwort hinwegtäuschen: Stille Wasser sind tief. Oder wie der erfahrene Eidgenosse zu sagen pflegt: Schneebedeckte Berge sind hoch.
Natürlich ist dem gemeinen Touristen dies nicht bewusst. Er verbindet den Engadin mit strahlender Sonne, viel Auslauf auf weiten Wiesen, leckerem Käse und hübschen Graubündnerinnen.
Engadin, was für ein wunderbares Wort...
An all dem kann jenes Bündnis aus rassierten bis stoppeligen Waden, welches von Maria 24h später in einer sächsischen Metropole vermisst werden sollte, nicht verweilen. Denn es gibt eine weitere Verbindung zum Worte Engadin: Radmarathon.
Und schon sitzen sie auf ihren Rädern. Wie wild geworden treten sie, schnaufen sie, schwitzen sie, Umdrehung für Umdrehung ihrer silbern glänzenden Kurbeln.
Gerade rechtzeitig noch reißen sie ihre Lenker am Ofenpass herum und verschwinden in einem langen, dunklen Tunnel; es folgt ein grün schimmernder See, eine illustre Galerie und endlich, endlich ist sie in Sicht: die erste Labe. In Livigno kann die Gruppe nicht mehr, selbst gestandene Männer haben Mühe nicht dahinzugleiten.
Nach einer Stärkung geht es über den Forcola- und den sagenumwobenen Berninapass hinein nach Samedan. Nun wird das Tempo höllisch, die einzige Formation, die jetzt noch einen Funken Bewusstsein erahnen lässt, ist die Einerreihe. Sind es zwanzig, fünfzig, hundert oder zweihundert Kilometer bis ins Ziel? Was auch immer, es geht ums Durchhalten...
Doch da, oh Schreck, was ist los? Wie konnte das passieren? Die Gesamtführende, weitere Mitglieder ihres Stabes sowie andere zur Unterstützung dahergeeilte Picardellics biegen ins Ziel der kurzen Strecke ein; war dies das Ende? Sollten jegliche Schmerzen vorangegangener Etappen umsonst sein? Bedeutet das ein zufrieden grinsendes Team Strassacker auf dem dritten Platz der Teamwertung? Kurz: War das eine Langstrecke ohne Picardellics?
Schweißgebadet erfährt der Abonnent des wöchentlichen Picardellics-Newsletters, dass dies erst der Sonnabend war, das Warmfahren für größere Ziele.
Auch die Labe in Livigno entpuppt sich im Nachhinein nicht als eine der kulinarischen, sondern eher der optischen und kreditkarten-geilen Art in Form eines doch recht ansprechend wirkenden Fahrradladens.
Lauter kann ein Stein nicht fallen, befreiter kann ein Herz nicht schlagen.
Doch eine zweite Schonfrist wird es nicht geben. Verschwenden wir deshalb unsere Gedanken nicht an eine mehr oder minder gut durchschlafene Nacht, geweckt seien viel lieber die schlummernden Zernezer mit einem Schuss aus scharfer Waffe gegen sieben Uhr des Morgens des 11.Julis 2010.
Eine Masse setzt sich rollend in Bewegung. Beobachter im Führungsfahrzeug entdecken den entschlossenen Blick eines Mannes, welcher sich vorgenommen hat, dieses Jahr die 2000km-Marke zu knacken; trotz der hohen Geschwindigkeit erkennen sie in ihm den nahen Verwandten einer gewissen Franziska Reinfried. Er wird gefolgt von ebendieser, sowie einer weiteren Armada an Picardellics, von Namen wie ChristJan, Martin, Uwe, Angie, Dima und Ludwig. Zumindest bis zum Ortsausgang von Zernez.
Ab dort wird der schützende Zusammenhalt der Gruppe auf eine harte Probe gestellt, und erst nach langem Leiden sollten sie sich am Ende des Tages wieder sehen.
Über nun mittlerweile bekanntes Terrain geht es an eben jenem gestern noch schillernden See und jener gestern noch illustren Galerie entlang Richtung Livigno. Wie von einem Magneten wird Jan in Richtung dieses kleinen, italienischen Städtchens mit seiner Labe gezogen, und es ist bis heute ungeklärt, wie Franzi es schaffte, ihren Begleiter zu überzeugen, dieses ihm am Vortag genau dort angebotene Häppchen weißen Carbons zu verschmähen. Um genau diese Probe einsamer und eiserner Enthaltsamkeit inmitten erhöhter Adrenalinzufuhr zu umgehen, hatten Christian und Martin es in der Vorbereitung auf diesen Marathon nicht verpasst, ihren Rennbegleiter Matthias mit sanfter Gewalt die neuen Schuhe schon am Vortag an die Füße zu drücken, sodass Livigno ohne Schwierigkeiten passiert werden konnte und an den folgenden Pässen für ihren Kameraden nun keine Gefahr mehr vom Team Specialized drohte, sodass die beiden ihren Matthias jetzt entschwinden zu lassen vermochten.
Allerdings tut der Leser gut daran, den Ernst der Lage jetzt nicht zu unterschätzen und weiterhin mit seinen Beißwerkzeugen für kurze Fingernägel zu sorgen, denn langsam fingen auch Uwe und Ludwig sowie Angie an, sich des kalten Luftzuges in ihrem Nacken bewusst zu werden, denn obwohl sie sich im Anstieg zum Bernina befanden, froren sie. Fürchterlich. Ein kalter, osteuropäischer Wind erwischte ihre Nackenhaare, welche sich aufstellten, um einem ukrainischen 19er Ritzel zu widerstehen, welches unaufhörlich am Berg nagte. Der Bernina ächzte und krächzte, und so nutzten Uwe und Angie die Chance, sich bei der ersten Möglichkeit hinter einer Rechtskurve und dem sich dort befindlichen Zielbogen der Kurzstrecke in dem nun vertrauten Zernez zu verstecken.
Da schneebedeckte Berge nun bekannterweise hoch sind, und Gegensätze sich anziehen, bietet ein hoher Berg einigen Schutz vor einem hohen Gang. Also jagen Matthias, Christian, Martin, Ludwig, Jan und Franzi in kluger Schlussfolgerung noch über Flüela und Albula, um dem doch recht hohen Gang eines Dimitro weiter zu entfliehen. Es sollten nur drei Personen heil auf dem Rad überstehen, denn am Albula war es so weit: Jan musste seine ihm Anvertraute ziehen lassen, und in dieses jetzt entstehende Vakuum stieß Dima erfolgreich hinein und begleitete Franzi ins Ziel. Am Horizont sahen sie noch einen einsamen Cowboy sein Pferd hinter sich herführen, aber nicht das Pferd lahmte, sondern der Cowboy. Doch pünktlich zwei Kurven vor der nächsten Photographin saß Ludwig wieder auf dem Rad und hatte es sich mit dem Ausgleichssport doch noch einmal anders überlegt.
In der folgenden Abfahrt wiegte man sich nun in Sicherheit und rollte ins Ziel.
Für Maria geht nun eine lange, bange Zeit zu Ende. Immer wieder starrte sie in den vergangenen 48 Stunden auf die Picardellicsseite, um zu erfahren, was den angesprochenen jungen Männern und Frauen denn nun widerfahren war. Erleichtert und umso glücklicher nimmt sie daher die Kunde vom erfolgreichen Abschneiden der Picardellics im Engadin entgegen:
Franzi Gewinnerin der Frauenwertung der langen Strecke des CHIBA-Alpencups und gleichzeitig dritte in ihrer Altersklasse dieses sonntäglichen Marathons
Matze wird Elfter, Christian 47er, Martin 69er
Christian und Martin nicht nur im Rennen, sondern auch in der Gesamtwertung zusammen unterwegs - Top20 insgesamt
Das Picardellics-Team zusammen auf dem dritten Platz der Teamwertung des Alpencups
Euer Ludwig