Mecklenburg-Rundfahrt Elite B/C

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der Fünfte musste das Bild schießen
Donnerstag, 30.09.2007, Prolog 8 km

Die letzte Augustwoche begann im Elbtal sonnig und trocken und würde wohl auch so enden, allerdings nur im Elbtal.

Immer wieder auf der Suche nach einer einprägsamen, anhaltenden und reizvollen sportlichen Herausforderung, auf der hektischen Suche nach einer Möglichkeit aus dem so beruhigend und endgültig geregelten Arbeitsleben ausbrechen zu können, machten wir, das berühmte RaceTeam der Picardellics, uns also mitten in der Woche auf den Weg in den kühlen, regnerischen aber glücklicherweise noch eisfreien Norden Deutschlands.

Auf den Weg machten sich allerdings erstmal nur Michi, sein Opel und ich. Dirk bemerkte erst bei Jans Eintreffen und dem folgenden Verladen der Räder, dass seine Tochter weder Willens noch in der Lage war, die 20 Kilometer bis zum Kindergarten allein im familieneigenen Kfz zurückzulegen. Nachdem alle Diskussionen und Überzeugungen an der, schon in jungen Jahren deutlich ausgeprägten, weiblichen Beratungsresistenz ergebnislos abglitten, galt es die Kurze noch in der staatlichen Fürsorgestelle abzuliefern. Die geplante Abfahrt verzögerte sich dadurch etwas. Aber nicht so sehr, als dass Jans unbeweglicher Gasfuß und sein Hang zur eingehenden und detailierten Betrachtung der TÜV-Marken vorausfahrender Fahrzeuge uns nicht innerhalb kürzester Zeit auf der Autobahn ein- und überholten. An der Stelle muß zur Entlastung von Jans offensiv-fortschrittlichem Fahrstils angemerkt werden, dass der Hubraum von Michis Opel nur unwesentlich größer als das Fassungsvermögen von Michis Blase ist, was zu einem sehr bürgerlichen Fahrstil und einer unangemessenen, aber vertraulichen Anzahl von Entwässerungspausen führte. In der beschaulichen Ruhe eines der leider zahlreichen Staus, in den wir uns inzwischen gemeinsam einreihten, nutzte ein nutzfahrzeugsteuernder Oberlehrer die Möglichkeit zur tiefgreifenden Diskussion über seine Grundsätze im Straßenverkehr. Dirk inzwischen frei von allen Ehelasten und -fesseln sowie berufserfahren mit der sprunghaften Argumentation von Büchsenbiertrinkern schaltete auf Sendung und setzte mit wenigen lautstarken Worten Kinn und Wampe des geschwätzigen Helden der Landstraße in kohärente, nur langsam ausklingende Schwingungen. Die Autobahn war wieder frei und unser Ziel greifbar. Weiter ging die wilde und zu Michis Leidwesen schweigsame Fahrt.

 

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Dirks Prolog
In unmittelbarer Nähe zu Krakow (am See) und der Autobahn nach Rostock erwartete uns im Van der Valk Resort Linstow um 20.00 Uhr eine riesige Portion Teigwaren. Um die Zeit bis dahin nicht so endlos lang werden zu lassen, absolvierten wir den Prolog der Rundfahrt. 8 Kilometer. Wellig. Windig. Sehr windig. Der ersehnte Regen hatte schon vor einer Weile eingesetzt und die stark gefallenen Temperaturen sorgten für pinguin- und eisbärenfreie Straßen. Optimale Bedingungen für uns, die Rundfahrt zu eröffnen. Jan startete als Erster unseres Expeditionsteams. Seine peinliche Triathlonvergangenheit vor Augen, seine guten Zeitfahrergebnisse im Kopf, brauchte er die 8 Kilometer bis er 53x12 ketten konnte, um dann endlich in unaufhaltsamen Schwung, entsetzt und viel zu früh das Ziel vor Augen zu haben. Klar, dass mit dieser erzielten Mittelklassezeit der niedlichen Kellnerin am Abend nur ein müdes Lächeln zu entlocken war. Michi setzte sich als Zweiter in Bewegung und wurde ebenso wie Jan kurz vorm Ziel von dem folgenden Citecfahrer eingeholt. Wohl wissend, dass das triste, öde und einsame Zeitfahren nicht meine explizite Spezial- und Lieblingsdisziplin sein würde, hatte ich schon lange im Vorfeld versucht, materialtechnische Anreize zu setzen. Das neue Rad wurde just in dem Moment fertig, als Jan die Regelung zur "Chancengleichheit" im aktualisierten Reglement des Veranstalters entdeckte: Zeitfahrmaterial ist während der Rundfahrt weder im Prolog noch im Mannschaftszeitfahren gestattet. Nur einer eisernen langjährigen und erfolgreichen Erziehung ist es zu verdanken, dass ich trotz des moralischen und technischen Handicaps lächelnd an den Start ging und mich mit selbstmörderischer Verzweiflung den Unbilden der Strecke und des Wetters aussetzte.
Der Wind hatte inzwischen orkanartige Starke erreicht, der Regen peitschte waagerecht über die Straßen, entwurzelte Bäume flogen durch die Luft, Dächer wurden abgedeckt. In all dem Chaos war es faszinierend zu sehen, wie ein sibirischer Fingerhut einen neuen Trieb entfaltete, die roten Waldameisen eine riesige Fliege zerteilten und wie der Regen mathematisch exakte Mandelbrotbäumchen auf die Straße zauberte. Derart in die Beobachtung der verzückenden Natur versunken, überholte mich mein folgender Citecfahrer bereits nach der Hälfte der Strecke. Glücklich nicht mehr allein in der tobenden Natur zu sein, verbrachten wir die nächste Zeit bei oberflächigen Gesprächen, die sich in der Vertrautheit der UCI-Abstandsregelung ergeben können. Dirk, nach mir startend, träumte von seinem idyllischen Familienleben, seinen Kindern, seinen Frauen, erinnerte sich an Italien, die Sonne, die Temperaturen, drückte dicke Gänge und überwand seine Melancholie, er fühlte sich gut, spürte den flow, die Lust am Radfahren, die Leidenschaft des Lebens. Er war gut drauf, verdammt gut. Leider hatte die offizielle Uhr just im Moment seiner Ankunft einen binären Datumsfehler und so klafft an der Dirk betreffenden Stelle der Ergebnisliste ein exorbitantes Loch zwischen bdr-schiedsrichterlich festgestellter Wirklichkeit und Dirks leidenschaftlichem Fahrgefühl. Zudem die Strecke zwischenzeitlich wie von Geisterhand von den Orkanschäden bereinigt war, kaum Wind herrschte, der Regen in eine gleichmässige Form gefunden hatte, also rundherum ideale Bedingungen zur Ausübung des Radsportes herrschten. Bedingungen die Picco animierten, eine neue Mannschaftsbestzeit herauszufahren und sich auf Seite 1 der Ergebnisliste zu positionieren. Mit dieser Zeit, 6 Sekunden besser als Jan, unser bisheriger Zeitfahrmeister, sicherte Picco nicht nur unseren Platz etwas vor dem Ende der Mannschaftswertung, sondern zwingt uns zudem die Vereinsgeschichte neu zu schreiben: ein Bergfloh, bei dessen Anblick erfahrene Modells unweigerlich den Bauch einziehen, schlägt die evolutionstechnisch optimierten, massigen Zeitfahrer!

Während der intensiven Materialpflege, zwischen Piccos Jubelrufen und Dirks Schluchzen verging die Zeit bis zum Abendessen wie im Fluge. Dirks amerikanisches Albtraumrad bekam dabei den Frust des enttäuschten Fahrers, unvermittelt in Form mangelnder Putzleistung zu spüren. Erste Gedanken an ein richtiges, ein graziles, ein schönes, ein italienisches Rad tauchen dabei in Dirks Kopf auf, können sich jedoch leider noch nicht dauerhaft festsetzen.

Selbst die kleine Kellnerin mit den schönen Kniekehlen kann Dirks Kummer nicht lindern. Jan nutzt die mentalen Einschränkungen seiner Mitfahrer und beginnt heftig zu flirten. Michi wählt eine andere, erfolgreichere Strategie und ignoriert die Süße so lange und so bewusst, bis der ganze Saal, bis 120 Fahrer, das wilde Beben der unbezähmbaren Gefühle zwischen den beiden hilflosen Opfern Amors spüren. Kurz bevor aus Gedanken Taten werden, bevor Worte Gefühle wecken, bevor Balztänze aufgeführt werden, kehrten wir satt, zufrieden und einträchtig zurück in unsere Männerpension.

Freitag, 31.08.2007, 107 km

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Zielanfahrt 1. Etappe
Picco überrascht nicht nur auf dem Rad sondern auch im wirklichen Leben, so diesmal mit seinem programmiereruntypischen frühmorgendlichen Tagesbeginn. Dafür knurrte sein Magen in der Hoffnung auf ein Frühstück auch am lautesten. Trotzdem bedurfte es erst Jans sanfte Weckmethoden, um Michi aus dem Tiefschlaf zu pelzen.
Nach dem reichhaltigen Frühstück erwarteten wir Jan mit den neuesten Informationen von der Mannschaftsleiterbesprechung. Er berichtete, dass die heutige Strecke noch etwas länger als geplant werden würde, der Start zudem in Krakow erfolgen solle und vor dem Pflasterabschnitt bei Kilometer 20 eindringlich gewarnt wurde. Wir nahmen die Anregung dankbar auf und nutzten die verbliebene Zeit bis zum Start zu einer Streckenbesichtigung. Das Pflaster an sich war schon beeindruckend, musste sich jedoch unsere Bewunderung mit den Schlaglöchern im gleichen Abschnitt und der davor liegenden Abfahrt (mit Verkehrsinsel) teilen.

In Ermangelung eines Fahrers für unser Fahrzeug wurden wir noch mal verbal tätig und überzeugten die Cottbuser unser Ersatzmaterial in ihrem Fahrzeug mitzuführen. Derart gut gewappnet blieben wir am heutigen Tag von Pannen verschont. Jan hatte heute eine moralisch-taktische Panne als er aufgrund einer Verkettung unglücklicher Zustände (hinteres Drittel des Feldes, Sturz vor ihm, hohes Tempo der führenden Fahrer) abreißen lassen musste und auch nach langen erbitterten Kämpfen, gemeinsam mit Lexxi und Gießen/Kleinlinden den Anschluß nicht mehr vollziehen konnte. Bis auf Dirk hatten wir alle die Ergebnisse der Streckenbesichtigung nicht wirklich umgesetzt.

Dirk hatte sich gut vorbereitet bereits beim neutralen Start in der ersten Reihe eingeordnet und ließ diesen Platz bis zum Zielsprint nicht mehr los. Er hatte lediglich ein Einsehen und Verständnis, wenn ein anderer Fahrer unbedingt in den Wind wollte. In diesen Momenten war Dirk großzügig, nahezu verschwenderisch. Er kam damit auch in der Spitzengruppe übers Pflaster und musste sich nicht erschöpfen, um Löcher zuzufahren. Da ich beide Hände brauchte um die zahlreichen Trinkflaschen in ihren Haltern zu sichern, konnte ich einen infinitesimalen Moment nicht wirklich am Lenker ziehen und fand mich zwei Radlängen hinter Dirks Gruppe. Im Glauben der Fahrer vor mir werde das Loch wohl gleich zufahren, verzichtete ich auch scheinbar unnötige körperliche Aktivitäten und merkte erst mit Michis Ankunft an der Spitze unserer Gruppe, dass ich einer gewaltigen Täuschung unterlegen hatte. Das Loch war inzwischen auf 20 Meter angewachsen. Gemeinsam mit Michi und etwas später auch Picco hechelten wir die Lücke wieder zu und erholten uns im Schatten des wiederentstandenen Feldes. 

Früher als noch mit weißen Socken Radrennen gewonnen wurden, als Shimano sich noch auf die Herstellung von Angelzubehör beschränkte und Männer mit einer Trinkflasche auskamen, wären wir nun mitten im Feld pedalierend, sicher vor Langeweile attackieren gegangen. Früher waren Männer auch einfach nur stark und dadurch schön. Heute glänzen nicht nur die Räder sondern glitzern güldene Hand- und Fußkettchen, Vaseline wird in den Haarschopf statt in die Hose geschmiert und jedes Stück Haut muß tätowiert werden. Es gibt viel zu sehen in einem großen Fahrerfeld: Schlangen ringeln sich um zierliche Waden, Kettenblätter umschließen Knie und Ellenbogen, Drachen umschmeicheln starke Oberarme. Die Zeit vergeht bei der Betrachtung all dieser hübschen Details wie im Fluge und das Interesse an einer harten, tristen und einsamen  Attacke versinkt inmitten der bunten Märchenbilder.

Die Straßen sind immer noch quietschnaß, aber der Regen hatte zwischenzeitlich nachgelassen und hörte später ganz auf. Der Nässe waren auch die zahlreichen Stürze des heutigen Tages geschuldet.
Der letzte Sturz lichtete das Feld knapp 2 km vor dem Ziel nochmal. Die dreispurige Straße war gerade breit genug, um die stürzenden Fahrer aufzunehmen, die Fahrer dahinter mussten über die Böschung und den Radweg ausweichen. Im Sprint ging es ordentlich zur Sache, für einige ging es ums Überleben. Seit Jahren von jugendlichem Leichtsinn geheilt, verhielten wir ruhig im ersten Drittel und begleiteten Michi gedanklich bei seiner Fahrt auf Platz 13. Das angestaute Adrenalin veranlasste Dirk, den bereits unangenehm und mehrfach wegen seiner sehr unkonventionellen, quirligen Fahrweise aufgefallenen Greifswalder Stoppelbart auf Handtaschengröße zusammenzubrüllen. Der Fahrer viel am nächsten Tag nicht mehr fahrstilrelevant ins Auge.

Durch Dirks später ebenfalls meisterhaft gewählte Worte durften wir den Kärcher der benachbarten Autoschlosserei zur Radgrobreinigung benutzen. Tonnen von märkischem Sand rieselten aus Ketten und Ritzeln, Sättel und Lenker wurden wieder spürbar, Pedalen erkennbar.

Der Abend klang in einem kleinen Restaurant mitten im Wald gemütlich aus. Dirk hatte sich von seinem Vortagsversagen erholt und Jan konnte mit seiner Anschlussschwäche konstruktiv umgehen. In der Mannschaftstageswertung hatte uns Michi auf Platz 3 katapultiert und in der Gesamtwertung waren wir

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Michis erste Platzierung
zudem kontinuierlich aufgestiegen.

Samstag, 01.09.2007, 137 km

Nach dem morgendlichen Michiweckritual und dem folgenden Frühstück setzte eine gewisse Hektik ein. Heute war Sternberg Zielort der geplanten 140 Kilometer. Von Sternberg aus sollten wir im geschlossenen Konvoi zurück nach Linstow rollen. Wir hatten jedoch mehr Lust darauf, abends wieder in unserer gemütlichen Gaststätte zu sitzen. Und brachten deshalb ein Fahrzeug nach Sternberg und den Fahrer natürlich wieder zurück nach Linstow. Danach lief alles erst mal so wie gestern, lediglich die Straßen waren größtenteils trocken: Neutraler Start mit Dirk in der ersten Reihe, 1. Sprint in Linstow, Buschi aus dem Ü44-Team Cottbus holt sich die letzten beiden Punkte um das weiße Trikot endgültig an seine Brust nageln zu können. Auf dem Pflasterabschnitt wissen inzwischen alle, was geschehen kann und so ist das Tempo verdammt hoch und die Lücken sind verdammt klein. Das Tempo bleibt so hoch und das Feld quetscht sich auf die Windkante. Mir drückt es die Augäpfel raus und die rechte Hand sucht zuckend ein 10er oder wenigstens 11er Ritzel. Das Tempo bleibt hoch. Die Lücken werden größer. Die Lücken werden riesig. Ein Fahrer vor mir schreit Gießen/Kleinlinden aus dem Weg und setzt zum Anschlusssprint an. Aufgrund des Sauerstoffmangels habe ich schon kurz nach dem Start aufgehört nachzudenken und folge deshalb ohne zu zögern. Wir hacken das Loch zu. Verschaufen. Das Tempo ist immer noch hoch, aber wir sind an der Spitze dran. Bald darauf bricht das Tempo ein und eine Welle erschöpfter Verfolger schwappt nach vorn. Eine Hand schnellt nach oben, Dirk hat einen Platten. Mit unserem Reserverad aus dem Cottbuser Begleitfahrzeug und dessen Windschatten gelingt ihm der Anschluß ans Feld, während Jan an der Spitze bremst.
Inzwischen versucht ein Fahrer der RG Uni Hamburg sein Glück allein. Das Feld lässt ihn ziehen und versucht sich zu erholen. Nach knapp 100 Kilometern setzten sich weitere Fahrer ab. Bei den Kämpfen um den Windschatten stürzen zwei Fahrer. Einer der gestürzten vertreibt Michi, der nun mit einem Platten im Cottbuser Begleitfahrzeug sitzt zurück auf die Straße. Michi hat Glück und findet eine private Mitfahrgelegenheit bis Sternberg.

Wir kommen etwas nach ihm dort an und mussten noch einen der seltenen 12% Anstiege Norddeutschlands überwinden.  Bis dorthin zogen Rolinck und Unna ordentlich am Horn, um den Abstand zu den Ausreißern wieder etwas zu minimieren. Weit mehr Kraft ließen die Jungs dabei aber in der Bedienung ihrer Funkgeräte als im Wind. Wobei die mehrfachen Wiederholungen den Vorteil hatten, dass das gesamte Feld über sämtliche Details der jeweiligen Teamtaktik genauestens informiert wurde.

Die Hinweise der morgendlichen Besprechung zum letzten Anstieg im Kopf versuchen wir uns an der gesprächigen Spitze zu halten, um gut über den Hügel zu kommen. Das Tempo geht nochmal hoch, die schmale Straße riecht schon förmlich nach Berg, einige Wellen lockern die Stimmung im Feld auf und dann sieht man das Schild "12%" und die Kuppe weit, weit oben. Dirk und Picco gehen gleichzeitig in den Berg. Vor Picco bilden sich plötzlich Wartegemeinschaften, Stühle und Campingtische werden ausgeklappt, Kaffee bestellt und die Aussicht begutachtet. Picco ist eingebaut. Dirk ruckt ein Stück weiter, keiner wagt es sich seiner Masse entgegenzustellen, er geht in den Wiegetritt, doch dann plötzlich steht Dirk. Wilde Krämpfe durchzucken seine Beine, lassen die Muskulatur erstarren, legen den athletischen Riesen lahm. In Dirks Windschatten bis hierhergeeilt, steht er mir nun kühlschrankgleich im Weg, Worte kommen nicht mehr in seinem Großhirn an. Noch männlich sitzend, drücke ich mich dicht an Dirks Seite vorbei. Der Hügel ist noch ewig lang und hoch. Nun muß ich doch Schwäche zeigen und wechsle in den Wiegetritt. Zeitgleich mit den beiden Fahrern rechts und links neben mir. Beide schlagen mir synchron ihre Lenker an die Oberschenkel. Die Impulse heben sich auf, lediglich der Schmerz hält an und ich setze meinen Weg mit verbissenem Gesicht fort. Gleich darauf zieht Picco, sitzend und schwatzend, an mir vorbei. Aus Interesse an seinem Gesprächsangebot ziehe ich noch mal am Lenker, muß aber noch 4 Fahrer passieren lassen, die dann jedoch dankenswerterweise die Lücke zu Picco und den anderen 5 Fahrern schließen und mir Windschatten geben.

Auf den wenigen Kilometern bis zum Ziel reihen sich die Attacken nahtlos aneinander. Überraschend steht dann plötzlich das Ortsschild "Sternberg" am Hang und signalisiert die letzten 1000 Meter. Lange 1000 Meter. Durchsetzt von Pflaster, Kurven und Steigungen. Picco hat immer noch Luft zu reden und fährt mir als er keine Antwort erhält davon. Dirk und Jan haben sich den letzten Berg genauestens angeschaut, Aquarellskizzen angelegt und verschiedenen Perspektiven verglichen, um den Daheimgebliebenen exakt berichten zu können. Beide kommen deshalb etwas später, mit gut gefüllten Mustermappen, ins Ziel.

Michi möchte nach seiner Panne nun wenigstens nach Hause radeln, nimmt Dirks Hinterrad, hat im einsetzenden Regen wieder einen Platten und kommt so trocken mit dem Cottbuser Bus zurück ins Quartier.

Sonntag, 02.09.2007, Mannschaftszeitfahren 61 km

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Mannschaftszeitfahren
Der letzte Tag beginnt für uns sehr früh, da wir zum einen das Hotel räumen und dann aufgrund unserer (noch) sehr durchschnittlichen Mannschaftsplatzierung recht früh zum Zeitfahren starten müssen. Ein erster Test mit Zeitfahrrädern und ohne Dirk hatte vor drei Wochen ein zufriedenstellendes Ergebnis hinsichtlich Radbeherrschung, Führungswechsel und Kommunikation ergeben. Der zweite Test eine Woche später, schon mit dem Wissen um das angepasste Reglement der Mecklenburgtour mit Straßenrädern und mit Dirk war zwar schneller hinsichtlich des Teamgedankens jedoch weit ernüchternder.
Derart vorgespannt gingen wir bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen kurz über dem absoluten Nullpunkt in Krakow an den Start. Die Reihenfolge war klar. Der Start. Wir setzten uns auf dem Pflaster des Marktes in Bewegung. Michi führte uns um die ersten Kurven. Wir wechselten durch. Endlich die Kurve in den Rückenwind. Zügig schossen wir aus der Stadt. Das Laktat schoß mir gleichzeitig in die Beine. Mehlsackähnlich hingen diese an den Pedalen. Jan ließ immer noch seine Sicherheitslücke zu Picco. Er fuhr seine Lücke zu und ein Stück neben Picco, lies sich wieder eine Radlänge zurückfallen. Bei Kilometer 15 mit Beinen, die sich kaum noch drehten, platzte mir der Geduldsfaden und über Jan erging sich eine Triade voller Wut und Zorn. Dirk schlichtete den aufkommenden Streit, beruhigte die Gemüter und vermittelte. Jan lässt die Lücke nun konstant stehen, welche Wohltat. Mit dem Wutausbruch war ich nun endlich warm und konnte die restliche Fahrt genießen. Die Beine fühlten sich wie Beine an, das Tempo entsprach so ziemlich unserem Leistungsspektrum, die Wechsel funktionierten und durch die Kurven kamen wir gemeinsam. Der Wind wehte scheinbar immer von vorn.
Bei Kilometer 40 lauerte uns das fiese Pflasterstück wieder auf. Vorgewarnt von den letzten zwei Tagen kamen wir relativ schnell, gemeinsam und schadfrei rüber und Picco zog uns schweigsam (Picco schweigsam am Berg, ein Novum!!) den folgenden Berg zum Aussichtspunkt hoch. Der nächste Abzweig machte uns dann deutlich, wie Gegenwind wirkt. Die Gerade zur Autobahn wurde immer länger. Die Unendlichkeit des Alls wurde hier endlich fassbar. Jan sagte die verbleibende Reststrecke inzwischen in cm-Genauigkeit an und brachte mein zartes Nervenkostüm wieder einmal in Schwingungen. Endlich die Autobahnbrücke, jetzt noch 8 Kilometer. Die Wellen bis Krakow türmten sich zu Bergen auf. Jeder Tritt schmerzte am ganzen Körper. Der Wind blies uns stetig von links ins Gesicht. Krampfgepeinigt musste Dirk kurz vorm Ziel reißen lassen. Wir wechselten zu viert weiter.
Michi, ausgeruht vom Vortag und jugendlich motiviert, nahm mich inzwischen immer wieder sofort aus dem Wind, stemmte sich in die Führung und peitschte uns weiter voran. Und so schossen wir zu viert auf den gepflasterten Marktplatz von Krakow. Unsere Zeit brachte uns allen den 10. Platz der Tageswertung und für manche die erste Platzierung ein. Insgesamt rutschten wir auch auf den 11. Platz vor und konnten damit zufrieden die Heimreise antreten. Das Siegerteam mit satten 5 Minuten Vorsprung auf uns hatte offensichtlich der Verlockung einer Aussichtsturmbegehung widerstehen können und ist konsequent durchgefahren. Trotzdem möchten wir diesen Moment der
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Rudi
gemeinsamen Stille auf dem Aussichtspunkt, wir fünf, dicht beisammen, ohne dass einer Kilometer ansagte, wütend brüllte oder einfach nur tackerte (einer von uns hat auf den 60 Kilometern immer geredet, verdammt viele Worte in 1h.31min.25sekunden) nicht missen. Zufrieden, glücklich, im Auftrag des erprobten Rundfahrtteams der Picardellics -

Thomas

Die Kurzfassung:

Teamwertung Gesamt: Platz 11,
Gesamtwertung: Picco Platz 29, Rudi Platz 35, Dirk Platz 56

Zweite Etappe: Michi Platz 13 = eine Platzierung BDR

Teamzeitfahren Platz 10 = vier Platzierungen BDR

gestartet: 24 Teams / 112 Starter 

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