Raceday - Das Rennen

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Teamwertung
Seit Wochen schon kreisen die Gedanken der sächsischen Radlfreunde nur noch um den Dresdner Race Day. Eine Flut ellenlanger Threads zum Streckenverlauf, Steigungsprozenten, einschließlich der üblichen Übersetzungsweinerlichkeiten überzieht das Internet. Die zum Download bereitgestellten, detaillierten, pulschlaggenauen Aufzeichnungen jeder einzelnen Trainings-, Wettkampf- und Rollenminute kilometergestählter, ortskundiger Jedermänner überschreitet nicht nur den Trainingsumfang der durchschnittlichen C-Wanze um ein mehrfaches, sondern ermuntert zudem knapp 900 Sportler, sich für eine der beiden angebotenen Strecken zu entscheiden.

ImageFür den harten, lebenserfahrenen und wohlgenährten Kern der Picardellics bietet sich natürlich kaum eine Alternative zur wohl größten Herausforderung beim härtesten Jedermannrennen Deutschlands: Der Start mitten im Erzgebirge, mit den steilen Flanken des Geisings vorm weitsichtigen Auge, ohne stundenlanges Warmrollergekuschel am Elbstrand, zudem man noch mit 2 Stunden Handicap nach der flachen Muttirunde startet.

Furunkelfrank hatte aufwendige, kosten- und schmerzintensive Gewebetransplantationen im empfindlichen Sitzbereich auf sich genommen, wollte er doch unbedingt gemeinsam mit den gewieften C-Fahrern der Picardellics die Schussfahrt von Bärenstein nach Dresden absolvieren. Dem allgemeinen Trend zur sportlichen Wettfahrt ohne aufputschende Stimulanzien folgend, hat sich Jans Vorjahresliebesgefühlshoch auf ein erträgliches bürgerliches Maß eingepegelt, was es uns normalsterblichen Radfahrern ermöglichen sollte, ihm auf den gut 60 Kilometern zu folgen. Dirk trieb schlichtweg die Lust zügig zu rollen.

ImageDer Morgen des langersehnten Wettstreites begann wie jeder Morgen seit 6 Monaten mit dem anhaltenden Getacker der Kleinen und dem raumgreifenden Gezappel der Kurzen. Den mir verbliebenen kleinen Rest der Bettdecke freigebend, wankte ich schlaftrunken ins Bad. Krachend ergab sich die Waage meiner plötzlichen, punktuellen Lasteinwirkung und senkte sich auf Fußbodenniveau ab. Zersplitternde Plastikteile, Zahnräder und Schrauben schwirrten unkontrolliert durchs Bad. Blitzartig, geschmeidig und hellwach suchte ich Deckung vor den umherfliegenden Querschlägern und verkroch mich ängstlich unter das Waschbecken. Dies war offensichtlich das langersehnte Zeichen: meine Wahl der Downhillstrecke beim Dresdner Race Day war völlig korrekt, Selbstzweifel, ob es vielleicht nicht doch die etwas längere Strecke im gemütlichen Feld sein sollten, waren offensichtlich unangebracht.

Soweit moralisch gestärkt, machte ich mich mit unseren schwäbischen Gästen auf den Weg zum Zug. Trotzdem wir die S-Bahn und den Regionalverkehr nutzen, kamen wir pünktlich in Niederschlottwitz an. Im eilfertigen Bestreben die Verspätung der S-Bahn durch kürze Umsteigzeiten zu minimieren, hatten wir es gewagt, in Heidenau die 500 Meter zu dem ganz am Ende des Bahnsteiges wartenden Zuges zu radeln. Damit hatten wir den Zorn des Zugführers geweckt, der uns in typisch deutscher Blockwartmentalität von den Rädern brüllte. Auf der beschaulichen Bahnfahrt durchs Müglitztal konnten wir uns von den Speichelfetzen des Blockwarts reinigen und wurden zudem vom Schaffner freundlich hinsichtlich Doping im Radsport aufgeklärt.

ImageWährend wir uns ab Schlottwitz systematisch und kontrolliert warm fuhren, wurde den Insassen der 5 Transferbusse bei unserem Anblick schlagartig klar, dass sie schon wieder in Trainingsrückstand gerieten. Wieder einmal hatten wir nur durch unsere Anwesenheit Angst, Schrecken und Verzweiflung gesät.

Am Start in Bärenstein wurden wir von unseren Vereinsamazonen sehnsüchtig erwartet und innig begrüßt. Nach zahllosen, langen und intensiven Umarmungen mit Angie, Anja, Anke, Franzi und Bratwurst, mussten Jan und Dirk sich mit einem trockenen, kurzen, männlichen Handschlag begnügen. Worte waren genug gewechselt. Von nun an überschlugen sich die Ereignisse:

10.28 Uhr fing es an zu nieseln.

10.32 Uhr wurde der Nieselregen zu einem stetigen, ausdauernden Landregen. Der Sprecher faselte immer noch etwas von „entscheidendem schweren Anstieg an der Bobbahn“ und erhöhte unseren Puls. Äußerlich blieb alles ruhig.

10.36 bettelt die Agapediafahrerin, in der ersten Reihe stehend, ihre Vereinskollegen und uns eindringlich, die Abfahrt doch ruhig anzugehen. Betreten versuchen wir den direkten Blickkontakt zu vermeiden. Erst nachdem sie nicht nachlässt anhaltend und vehement zu flehen, nicken wir ihr beruhigend und aufmunternd zu. Die Finger auf dem Rücken gekreuzt.

10.40 Ein trockenes Klicken ist in der zweiten Reihe zu vernehmen. Es klickt nochmals. Der Starter kämpft mit der Startpistole, aus der sich kein Schuss lösen will. Dirk ruckt an. Stockt. Mit einem gebellten „Los“ treibe ich ihn vor mir her. Das Feld setzt sich geschlossen, ohne offiziellen Startschuss, in Bewegung.
ImageDirk hetzt das Führungsfahrzeug die gepflasterte Abfahrt hinunter. Im Bestreben ihm dicht zu folgen, wird mir erst spät bewusst, dass Wasser auf der Carbonfelge unmittelbare Auswirkungen auf die Kurveneingangsgeschwindigkeit hat. In der Kürze der verbleibenden Zeit waren Berechnungen zur optimalen Kursgestaltung nicht mehr möglich. Es blieb lediglich die Möglichkeit zur empirischen Wissenserweiterung. Am äußersten Straßenrand hoppelnd, die Gesetze der Physik überstrapazierend, schwenkte ich hinter Dirk ins Müglitztal. Mit einem Agapedia bilden wir kurzzeitig die Spitze der Heldenstrecke. „Wollen wir warten?“ versucht der Münsterländer uns in ein Gespräch zu verwickeln. Mühsam und langwierig erläutern wir ihm den Unterschied zwischen einem Bahnhof und einem Radrennen. Dirk, etwas geschwächt von der langatmigen Diskussion, lässt einen Wechsel aus. Erschrocken erkundigt sich Agapedia mit hysterischer Stimme nach Dirks Befinden. Neumi springt ein und entspannt die Situation zur allgemeinen Erleichterung.

Mit einem deutlichen „Hep“ dockt Jan an die inzwischen auf 8 Fahrer angewachsene Gruppe an. Er hatte es sich als geborener Edelmann zur Aufgabe gemacht, die Abfahrt der ängstlichen Agapediadame zu überwachen und mochte sich erst im Tal von ihr lösen, um zu uns aufzuschließen. Bis Geising rollt die Gruppe gleichmässig und konstant. Am Anstieg nach Altenberg lassen es einige Mitfahrer etwas ruhiger angehen und reihen sich bei den abgeplatzten Muttistrecklern ein. Jan, in einem Moment ohne väterlich steuernde Aufsicht, schmeißt die Kette aufs kleine Blatt. Höhere Mächte strafen diesen Akt visualisierter Schwäche sofort mit einem Kettenklemmer. Er muß runter vom Rad und beidhändig an der Kette zerren. Wir sind nun noch zu dritt mit zwei Konkurrenten. Immer noch im Glauben, das wir von einem starken Hauptfeld gehetzt werden, fahren wir weiter, Jan bleibt mit Tränen in den Augen zurück.

Nach der Abfahrt zur Bobbahn haben wir nur noch einen fremden Begleiter. Dirk als der perfekte Lotse bringt uns gesund und senkrecht bis zum Anstieg. Dort darf ich das Führungszepter übernehmen und die Serpentinen hinaufdrücken.  Oben angekommen, ruckt Dirk, inzwischen warm geworden, an und wir setzen uns zu zweit etwas ab. Frank, schmerzresistent und austrainiert, fährt die mühsam gerissenen Löcher mit einem Begleiter am Hinterrad wieder zu. Erst das nachhaltige, mit 200 Kilogramm untersetzte, Drohen von vier Fäusten, veranlasst ihn, unserem Konkurrenten die Führungsarbeit zu überlassen. Dieser erschöpft sich auch prompt bei der Nachführarbeit. Leider ist der Abstand inzwischen zu groß geworden, so dass Frank nicht mehr zu uns vorspringen kann.

ImageIn Niederfrauendorf stößt das Führungsfahrzeug wieder an die Belastungsgrenzen der automobilen Technik. Dirk popelt derweil an der TÜV-Marke herum und schiebt den Wagen gefühlvoll vor sich her. Am folgenden Anstieg schalte ich das Zentralhirn wieder zu, genieße die Landschaft und folge Dirks Ausführungen zum weiteren Rennverlauf. Weder die zwischenzeitlich aufgesammelten Fahrer von Bikekult noch von ESK versuchen uns zu folgen. Sie konzentrieren sich schweigsam auf die Schönheiten des Erzgebirges und die ruhigen Momente einer Regenfahrt. Kurz vor Rundteil schließen wir zu einer Gruppe auf, die versucht, Wodys kräftigen Tritten zu folgen. Wody lässt sich männlich, verbindlich, wortkarg zu einer gemeinsamen Weiterfahrt überreden, während Holger lieber noch ganz allein unter Fremden Rennerfahrung sammeln möchte. Mit Wodys Hilfe schießen wir hinunter ins Weißeritztal und fühlen uns wieder wie im Radrennen, es wird zügig gewechselt, schnell gefahren und wenig geredet. Unser inzwischen deutlicher Vorsprung lässt uns den letzten Anstieg, hoch nach Pesterwitz, ruhig angehen.

Beim Linksabbiegen rutschen uns parallel und gleichzeitig die Hinterräder weg. Einem übermenschlichen Reaktionsvermögen und sekundenschneller Masseverlagerung (zu der Bergfloh Dirkus an gleicher Stelle, wenige Minuten vor uns, nicht in der Lage war) halten uns senkrecht. Wody nutzt unser hilfloses Gewackel, um unsere Kleingruppe wieder zu verstärken.  Auf der Abfahrt durch Gorbitz sprüht die Gischt ins Gesicht. Die Sicht ist nahe Null. Jetzt zählen nur noch Instinkt, Gefühl und die Hoffnung auf einen guten Heilungsverlauf. Die Ohren übernehmen jetzt die volle Augenfunktion. Im Bramschtunnel bleibt dann, mit offenen Augen und leicht reduzierter Geschwindigkeit (der Gegenanstieg aus dem Tunnel hinaus), Zeit die Vmax von 88 kmh in das Langzeitgedächtnis vordringen zu lassen. An der Kreuzung Hamburgerstraße stellen einige der Mitfahrer - das Ziel schon vor Augen - ihre Räder in die Weichen und kommen sturzgebeutelt etwas später zur Zeitnahme. Wir sind froh, bei den nassen Straßen nicht mehr um den Landtag hetzen zu müssen und setzen den unterwegs von Dirk okktroierten Zieleinlauf korrekt um.

ImageJan kommt mit wunder Kehle 3 Minuten nach uns ins Ziel, er hat sich in Altenberg und an der Bobbahn, wenige hundert Meter hinter uns fahrend, heiser  geschriehen, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen. Unser hektisch schlagender Puls in den Ohren war jedoch lauter als sein weinerliches Rufen, so dass er (allein mit seiner Kurvenschwäche) die Abfahrten herunterstolpern musste. Frank bewachte inzwischen aufmerksam den letzten ernsthaften Gegner und setzte sich auf den letzten Metern gegen den Jugendfahrer aus Hildburghausen deutlich durch. Franzi führt das Hauptfeld 5 Minuten später ins Ziel.

Frank stellt einen Teil seiner riesigen Ranch für die abendliche Grillauswertung zur Verfügung. Die Preise der Mannschaftswertung (mehrere Getränkekisten) für Platz 2 auf der großen Runde und den überragenden, meisterhaft erkämpften Platz 1 auf der Sprintstrecke finden hier reichlich Anklang. Leider konnten nicht alle Picardellics teilnehmen. Den einen oder anderen überrascht der plötzlich und überraschend eingetretene Hochzeitstag und die damit laut Ehevertrag eingegangenen, zwingend zu erbringenden Verpflichtungen, andere weilen noch im Krankenhaus und müssen versorgt werden. Insgesamt ist unser Ergebnis recht durchwachsen, gibt es neben den zahlreichen Podestplätzen doch auch einem Radtotalschaden (Neuanschaffung mit den richtigen (europäischen) Komponenten geplant, damit hat sich der Sturz doch gelohnt) und drei weitere ImageStürze, von denen einer im Krankenhaus versorgt werden musste. Unsere zierlichen Models mit ihrem BMI unter 10 wurden zudem bei dem herbstlichen Wetter am Sonntag von Krämpfen geplagt, die noch tagelang spürbar waren und die gestrige Dienstagsausfahrt zu einer beschaulichen, gesprächsintensiven Kullerrunde verkommen ließen,

erinnert sich,

Thomas.

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