Martin fährt ans Meer und zurück oder Paris Brest Paris

 

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Nach länger Zeit ohne Teilnahme an Langstreckenveranstaltungen stand dieses Jahr Paris-Brest-Paris auf meinem
Programm, das nur alle 4 Jahre stattfindet, also Zeit, das mal kennenzulernen.
Wer noch nichts davon gehört hat: Start in Paris, dann geht es gute 600km nach
Westen bis an die Atlantikküste nach Brest und von da auf nahezu identischem
Weg zurück nach Paris. Dafür hat man je nach gemeldeter Startgruppe max. 80
oder 90h Zeit zur Verfügung. Um startberechtigt zu sein, müssen im jeweiligen
Jahr die Qualifikationen dafür gefahren worden sein (brevets). Das kann man
nahezu überall auf dem Globus tun, und entsprechend international bunt gemischt
und groß ist das Teilnehmerfeld auch. Etwa 5000 Fahrer waren dieses Jahr am
Start, nach Frankreich stellt Deutschland inzwischen das zweitgrößte Kontingent
im Feld, aber auch Australier,
Amerikaner, Japaner , Philippinos und viele viele andere sind dabei.

Am Tag vor dem Start ist briefing, bei dem man sich ohne
weiteres wie auf einem großen internationalen Musikfestival wähnen könnte, und
auch die Palette der benutzten Fahrräder ist ähnlich breit: Rennräder aller
Hersteller in ungezählten Nuancen, Liegeräder aller Art, Tandems, Tridems und
vollverkleidete High-Tech-Dreiräder gibt es zu sehen und dazu wird überall
gefachsimpelt.

Am Sonntag Nachmittag ist der Start der ersten Gruppe, bei
der auch ich dabei bin. Um nicht ganz hinten zu stehen, war ich eine reichliche
Stunde eher gekommen, und dennoch fast der letzte......da immer nur Blöcke von
je 500 Fahrern alle 20min losfahren dürfen, muß ich so fast 2h in der prallen
Sonne schwitzen, bevor es überhaupt losgeht.

Dann ist es endlich soweit; anfangs mit Führungsfahrzeug,
abgesperrter Strecke und viel begeistertem Publikum verlassen wir den Pariser
Vorort St. Quentin. Bis zum ersten Kontrollpunkt, bei dem man sich einen
Stempel holen muß, sind es 220km, zuvor gibt es bei km140 eine
Verpflegungsstelle. Meine Hoffnung, bis km220 in einem einigermaßen großen Pulk
schnell vorwärts zu kommen, schwindet beizeiten dahin: Die Strecke verläuft
ständig auf und ab; zudem weht permanent Gegenwind, der das große Feld
lehrbuchmäßig in immer kleinere Grüppchen zersplittern läßt. Ich komme dennoch
ganz gut voran; Wasser bekomme ich unterwegs von hilfsbereiten Anwohnern, die
uns mit dem Gartenschlauch versorgen und die die Nöte eines Radfahrers in
großer Hitze kennen. Dann erreiche ich die erste Versorgungsstelle bei km140.
Spätestens bis hier und hat auch der letzte noch so jung-dynamische Heißsporn
erkannt, daß eine solche Streckenlänge nicht mit der Brechstange zu knacken ist,
sondern nur mit gleichmäßiger Ausdauer bewältigt werden kann.

Ich hole mir nochmals neue Getränke, mache schon mal das
Licht an und es geht in die erste Nacht hinein. Wider erwarten ist meine
Müdigkeit bald ziemlich groß, das ist ungewohnt, und als ich an einer der
nächsten Kontrollen mit einem Kaffee etwas zu bequem sitze, nicke ich für fast
1h ein - so war das ganz und gar nicht geplant. Danach aber geht es deutlich
besser, der Montag beginnt und es geht weiter in Richtung Brest. Je näher wir
der Wendestelle kommen, desto kühler und nebliger wird es. Mehr Probleme
bereitet mir aber mittlerweile die Appetitlosigkeit; bis auf ein paar Riegel,
etwas Obst und Traubenzucker habe ich bisher nichts ernsthaftes essen können.
Brest erreiche ich schließlich nach 25h und bin ziemlich im Eimer, als ich dort
ankomme. Es ist nun früher Montag abend und die schwerere zweite Hälfte liegt
vor mir. Mir wird klar, daß ich ohne auftanken auf dem Rückweg in größere
Probleme geraten würde.

In einer Pause von mehr als einer Stunde, die ich brauche,
um zu stempeln, sehr langsam nun endlich doch eine Portion Nudeln zu essen  und 
mich zu stärken, fahre ich für mich allein sehr langsam wieder los.  Es geht erst mal 300hm hinauf in die
vernebelte Bretagne und ich muß so manchen anderen passieren lassen. Ganz
allmählich kommen jedoch die Kräfte und die Zuversicht wieder zurück, in einer einigermaßen
brauchbaren Zeit finishen zu können und meine Fortbewegung ähnelt nun wieder
mehr dem Rennradfahren. An der folgenden Kontrolle treffe ich meine Mitstreiter
Erwin und Hans, die Brest noch vor sich haben und gut drauf sind. Ich setze
meine Fahrt in der nun angebrochenen zweiten Nacht fort und an der nächsten
Kontrolle habe ich insofern Glück, daß es gerade dort kräftig zu regnen
beginnt. Ich verbinde zwei Stunden lang das Angenehme mit dem Nützlichen und
pausiere und schlafe, während es draußen gießt. Dann geht's wieder weiter; immer
noch kommt mir in der Nacht ein endloser Strom von Fahrradlichtern entgegen,
während ich vor mir ein paar rote Lichter sehe-ein Anblick wie auf einer vollen
nächtlichen Autobahn.

Kleinere Grüppchen bilden sich und zerfallen immer wieder,
mit einem Franzosen fahre ich nun schon längere Zeit zusammen, der Wind schiebt
jetzt glücklicherweise etwas und während wir uns am jetzigen zweiten Tag wieder
Paris nähern, wird es auch wieder wärmer. Am Straßenrand steht eine kleine
Hütte, ein Mann davor und ruft uns hin. Drinnen hat seine Frau die herrlichsten
Crepes, Kaffee und Kuchen für uns bereit, die uns wunderbar schmecken. Als ich
etwas später bezahlen will, wehren sie ab und drücken mir lediglich ein
Kärtchen mit ihrer Adresse in die Hand-als Dank wünschen sie sich lediglich
eine heimatliche Postkarte von mir-das ist französische Gastfreundschaft und
Radsportbegeisterung in einem, die rührend ist.

Wir erreichen die Kontrollstelle 220km vor Paris und fahren
jetzt in einer wieder größeren Gruppe und erste Zielankunftsberechnungen
ergeben, daß wir zwar noch ein drittes mal Licht anschalten müßten, aber im
Idealfall um Mitternacht da sein würden-das ergäbe für mich sehr
zufriedenstellende 55h Fahrzeit. Während der nächsten Stunden bleibt unsere
Gruppe zusammen und fährt konstantes ordentliches Tempo-ich freue mich, daß die
55 greifbar wird. An der letzten Kontrolle, 66km vor Schluß, habe ich plötzlich
wieder einen Bärenhunger und muß noch etwas zu mir nehmen, bevor es ans letzte
kurze Teilstück geht. Die große Gruppe ist inzwischen weg; gemeinsam mit einem
Engländer und einem Franzosen fahre ich hinterher. Der Rückweg ist hier anders
gelegt als der Hinweg, aber dank der Markierungspfeile läßt er sich verfolgen.
Doch irgendwo, wenige km vor dem Ziel verlieren wir die Spur und beginnen, den
richtigen Weg zu suchen. Start/Ziel befinden sich in einem Pariser Vorort, der
sich mit seinem betonierten Einerlei kaum von dem anderer solcher
Satellitenstädte unterscheidet. Alle Straßen und Kreisverkehre sehen gleich
aus, alles ist leer, Mitternacht ist schon eine Weile vorbei....da kommt ein
Auto. Wir halten es an, fragen nach dem Weg und folgen der genannten Richtung,
aber da kommt nichts. Die nächste Autofahrerin weist uns genau in die
entgegengesetzte Richtung. Dann wieder ein Auto: Wir schicken den Franzosen
vor, zu fragen, aber es führt zu nichts; er ist offenbar so fertig, daß er
entweder gar nicht weiß, was er fragen soll, oder es uns nicht rüberbringen
kann und fahren wieder falsch-am Ende beginnt der Engländer sogar noch in einer
Art zu loszuschimpfen, daß sie wohl nicht mehr als völkerbindend bezeichnet
werden kann.

Das ist für mich der Zeitpunkt, mich allein auf die Suche zu
machen, und nach mehr als einer Stunde Sucherei finde ich nach einigen weiteren
Umwegen dann doch das Ziel, das ich nun nach gut 57h passiere. Daß mir selbst
um 2Uhr morgens Zuschauer bei meiner Ankunft applaudieren, bemerke und
honoriere ich in meiner leicht vermiesten Stimmung nur unzureichend; aber
später im Festzelt, das auch um diese Zeit nicht leer ist und wo ich die zuvor
verlorenen Radler der Gruppe wiedertreffe, bessert sich die Laune wieder.

Eine Fahrt ist nun zu Ende, die in mehrfacher Hinsicht groß
ist. Das beste und größte dabei waren für mich die zahlreichen kürzeren oder
längeren Bekanntschaften mit Gleichgesinnten und die gemeinsame Freude an
unserem Sport. An meinem Resultat gibt es noch einige Möglichkeiten zur
Verbesserung-schade, daß PBP erst wieder in 4 Jahren stattfindet.

 

 

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