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9. Oktober 2022

Cake Of Alma

6-tägige Etappenfahrt durch die Seealpen
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Wie alles kam ...

Von Mischka kam der Vorschlag, nach der Sommersaison nochmal eine Woche in den italienischen und französischen Seealpen zu verbringen. Als Mitfahrer fanden sich schnell Theo und Martin. Bei anderen Potentaten hatte es leider Terminschwierigkeiten gegeben. Die Alpes de Maritimae sind groß und bieten deutlich mehr Möglichkeiten als eine Woche zuläßt. Also mussten wir vorher erst mal eingrenzen, was in die Tour aufgenommen werden kann und was wegfallen muß. Die Mittelmeerküste sollte dabei sein, gern auch bekanntere Pässe, landschaftliche Highlights und möglichst viele der genussreichen Balkony-Roads, welche wie an die Felsen geklebt durch die Landschaft führen.

Auf allzu große Tagesabschnitte sollte man sich in dieser Gegend mit Hinblick auf die unvermeidlichen Höhenmeter lieber nicht einlassen; jedenfalls nicht, wenn man unterwegs auch noch genug Zeit für gastronomische Leckereien und etwas Erholung haben möchte (wie bei uns). Wir hatten letztendlich im Mittel etwa 140 Kilometer und knappe 3.000 Höhenmeter pro Tag auf dem Programm. Dank ihrer Vorkenntnisse vom Klettern her konnten Theo und Mischka einiges in die Planung einbringen. Es wurden schließlich 6 Etappen plus einem geplanten Reservetag für den Fall des Falles.

Tag 1 (Anreise)

Per Auto verlassen wir früh das regnerische Dresden und kommen am Abend nach 1.350 Kilometer Fahrt südwestlich von Turin in Frassino ans Ziel, wo wir - schon vorgebucht - übernachten . Klarer Höhepunkt des Tages ist der dortige Hausherr Alberto, den wir kaum verstehen, der aber gestenreich und sogar leicht handgreiflich viel schwafelt, dazwischen immer mal die Hände wie zum Gebet faltet, dann wieder uns durch die Haare fährt oder gar am Ohr zieht und dauernd seine Frau Alma anweist - ein komischer Kauz und Macho.

Tag 2 (# 1. Etappe)

Das von Alberto am Vorabend angekündigte üppige Frühstück fällt nicht so aus wie erhofft. Schnell steht fest, dass wir unterwegs bald Nachschub brauchen werden, steht uns doch gleich am Anfang der höchste Punkt der gesamten Tour überhaupt bevor. Unterdessen lobt er seinen Cake Of Alma auf unserem Tisch; kleine Häppchen durchaus schmeckenden Kuchens. Dieser Spruch wird für uns zum Schlagwort während der gesamten Tour für mehr oder weniger großen Hunger.

Wir packen alles nötige in die Lenkertaschen und Arschraketen, winken noch mal zu Alma und Alberto und begeben uns auf die Tour. Frassino liegt schon im Anstieg zum 2.744 Meter hohen Col de Agnel, der die Grenze zu Frankreich markiert. Bis zum Gipfel sind 2.000 HM abzuspulen, aber der Berg ist uns milde gestimmt und bei zwar kalter Luft aber blauem Himmel geht es hinüber auf die französische Seite, wo wir im Tal bald zum ersten mal in der Sonne sitzend Pizza genießen - good bye Alberto! Mit dem Col de Vars steht am Nachmittag nochmals ein 2.100 Meter hoher Berg im Weg, den wir schwitzend in der Sonne passieren, bevor es zum Etappenziel Barcelonnette hinab geht. Ein Hotel ist beizeiten gefunden, für die radfahrenden Gäste stehen sogar Kettenöl und Putzläppchen zur Verfügung, alte Fotos der Tour de France von vor 100 Jahren schmücken die Wände. In dem belebten Städtchen, das eingebettet zwischen vielen Pässen mit berühmten Namen liegt, finden wir auch bald kulinarischen Nachschub zum Abend.

Tag 3 (# 2. Etappe)

Unter dem sternklaren Himmel ist es über Nacht kalt geworden. Wir starten also warm angezogen in der Morgensonne hinauf zum Col de la Cayolle. Unterwegs wird es aber schnell wärmer. Bald können wir wieder in kurz/kurzer Kombination fahren. Nahezu kein Autoverkehr und Landschaft pur lassen uns die Fahrt genießen. Es gibt auch schon die ersten schmalen Balkony-Roads zu befahren, die ganz besonderen Spaß machen. In Castellane wird die Kasse für einen ordentlichen Lunch geplündert, bevor wir am Nachmittag erstmals den Fluss Verdon und die von ihm geprägten Schluchten zu sehen bekommen: Rote Felswände, darin hineingeschlagene Straßentunnel und außerdem Brücken, die die Schlucht in großer Höhe überqueren, lassen uns mächtig staunen.

Unsere Strecken sind so erstellt, dass sich immer wieder mal Möglichkeiten ergeben, bei Bedarf mehr oder weniger lange Abschnitte einzusparen, und da wir die letzten beiden Tage ordentlich in den Beinen spüren, lassen wir ruhigen Gewissens etwa 20 Kilometer weg und checken etwas eher in einer ländlichen Herberge ein.

Tag 4 (# 3. Etappe)

Nach dem Start aus der Herberge geht es heute gleich zum landschaftlichen Höhepunkt der Tour, der eigentlichen Verdonschlucht, deren Beginn wir schon am Vortag gesehen haben. In einer traumhaften, kurvigen und langen Abfahrt entlang der Felswand auf der nördlichen Seite des Tals gelangen wir auf der bekannten Route de Crete tiefer und tiefer und halten immer wieder mal, um die Blicke nach unten festzuhalten. Dass diese Schlucht ein Touristenmagnet ist, bemerken wir schnell am stärker gewordenen Autoverkehr, aber eilig hat es hier niemand. In der Ferne kommt der blaue Stausee in Sicht, den der Fluß speist. Wir erreichen die Talsohle, queren den Fluß und steigen bald auf der südlichen Seite entlang der nächsten Balkony-Road wieder auf, nun die vorhergehende Straße immer mal wieder im Blick. Einige PS-starke Boliden, von einer Reifenfirma gesponsert, überholen uns immer wieder mal, sind am Ende aber kaum schneller als wir, da die Fahrer wohl auch den Eindrücken der Landschaft erlegen sind. Ausgiebig Lunch gibt es später am Tag abermals in Castellane, das wir heute aber aus anderer Richtung erreichen und auch anders verlassen, nun schon dem Mittelmeer zu. Es folgt nochmals eine spektakuläre Straße (D10) nach Aigun, auf der wir niemanden treffen; wohl deshalb, weil zwei Autos sich da oftmals nicht begegnen können. Von der Höhe unseres Sträßchens ahnen wir in der Ferne schon die Küste. Im Bergdorf Aigun, das einen verschlafenen Eindruck macht, erspäht Theo tatsächlich ein geöffnetes Geschäft und wir machen noch mal eine Cola-Pause vor den letzten Kilometern. Theo ist es auch, der uns per mobilem Internet von unterwegs wiederum schon ein Quartier gebucht hat, sodass wir gar nicht erst eines suchen müssen. Diesmal liegt die Unterkunft auf einem Campingplatz, und da gerade kein geöffnetes Restaurant in der Nähe zu finden ist, decken wir uns im Ort erst noch mit allem für den Abend ein, was wir brauchen.

Tag 5 (# 4. Etappe)

Heute geht es ans Meer! Natürlich nicht auf dem kürzestem Weg, sondern erst hinunter ins Tal des Var und auf der Gegenseite im Zickzackkurs wieder hinauf auf den Col de la Madone. Unterwegs können wir schon mal das nahe gelegene Nizza erspähen - weit kann es bis zum Wasser nicht mehr sein. Oben auf dem Pass ist es unerwartet kalt und wir bleiben nicht lange, sondern ziehen nur schnell Windjacken an und fahren weiter. In der Abfahrt auf engen, kurvigen Straßen erhaschen wir immer wieder Blicke auf die Küste und die markante Autobahn, die aus einer einzigen Abfolge von Tunneln und Brücken zu bestehen scheint. 1000 Meter tiefer erreichen wir dann das Mittelmeer, bei Menton. Diese Stadt ist schon fast an der Grenze zu Italien gelegen. Die ganz großen Schicki-Micki-Plätze wie Monaco wollten wir von vornherein umgehen. Da passen andere Klientel besser hin. Bevor wir nach Italien hinüber queren, besuchen wir in Menton ein Bistro an der Uferpromenade. Die Ruhe, die es zuvor in den Bergen gab, fehlt hier freilich. So werden auch die restlichen Kilometer des Tages wieder eher so, wie wir es als Großstadtbewohner kennen. Ein Stück geht es noch an der ligurischen Küste entlang, bevor wir nördlich wieder ins Landesinnere abbiegen. Wir kommen an Dolce Acqua mit seiner wunderschönen alten, bogenförmigen Brücke vor dem Hintergrund der Burgruine vorbei; ein Szenario, das schon Monet als Motiv gedient hat. Etwas weiter, in Isolabona, haben wir diesmal Quartier. Weil der Endpunkt der folgenden Etappe fast wieder an derselben Stelle liegen wird, buchen wir gleich für zwei Nächte, was uns einige Packerei erspart. Das Quartier ist diesmal eine ausgebaute Dachwohnung in einem Jahrhunderte alten Haus mitten in der Altstadt. Das Treppenhaus ist so eng und steil, daß das Hochtragen der bepackten Räder noch mal zu einem Kraftakt ausartet.

Tag 6 (# 5. Etappe)

Diese Etappe ist ein echtes add-on. Sie bietet die Möglichkeit zum Abkürzen oder des kompletten Weglassens z. B. im Fall von Dauerregen - aber die Sonne scheint auch heute wieder und wir fühlen uns gut, also wird nichts gekürzt. Obendrein haben wir heute den Vorteil, mal ohne unsere beladenen Gepäcktaschen fahren zu können. Motto des Tages: Schussfahrt nach San Remo. Bevor die aber losgehen kann, muss erst mal wieder fleißig bergauf geklettert werden, bis auf knapp 1000 Meter Höhe bei San Romolo. Wir sehen unterwegs die kleinen Bergdörfer, die Schwalbennester, die regelrecht an die Hänge geklebt zu sein scheinen und die schöne Anblicke bieten. Die Fahrt bergab geht dann rasant vonstatten. In den vielen Kehren müssen die Scheibenbremsen mal zeigen, was sie können. Unten im Ort finden wir uns unversehens im größten Trubel in Kreisverkehren wieder, zwischen kreischenden Mofas und im Stau wartenden Autos ... nix wie weiter an die Uferpromenade auf den dortigen Radweg. Weiter ostwärts hat San Remo etwas zu bieten, was selten sein dürfte: ein kilometerlanger, zweispuriger beleuchteter Tunnel, erlaubt nur für Radfahrer, der sicher ein ausrangierter Kfz-Tunnel ist. Interessanterweise und etwas beunruhigend, steigen an diesem Tag an diesem Ort zwei Garmin-Navis ziemlich gleichzeitig aus, das Wahoo zum Glück nicht. Nach Neustart fangen sich die Geräte später wieder und jeder kann sich wieder unabhängig orientieren. Aus San Remo heraus auf dem Weg zurück in die Berge nehmen wir mit Cipressa und Poggio zwei Abschnitte von Mailand - San Remo (allerdings und bewusst so geplant in verkehrter Richtung) unter die Räder, auf denen sich die Profis bei dem Radklassiker schon nahe am Ziel befinden. Unser Ziel heute dagegen liegt noch 2 längere Pässe von uns entfernt und am Ende war es ein langer und nicht ganz leichter Tag als wir wieder in Isolabona eintreffen.

Tag 7 (# 6. Etappe)

Es heißt Abschied nehmen. Die letzte Etappe führt uns zurück zum Ausgangsort, aber vorher gibt es nochmal einiges zu sehen. Aus Isolabona heraus geht es anfangs über kleinere Höhen nach Trucco, das im schönen Tal der Roia liegt. Um zu unserem Auto zurückzukommen, müssen wir der Roia folgen, noch mal durch einen Zipfel französischen Gebiets fahren und dabei den Tenda-Pass bewältigen. Mit knapp 1.900 Metern ist der zwar nicht sensationell hoch, gilt aber als der südlichste Paß, der den Alpenhauptkamm quert. Zudem kann er über 40 Kehren vorweisen. Da es im oberen Teil nur noch Schotterpiste gibt, ist er auch durchaus schwieriger zu fahren. Neben Straße und Fluss windet sich auch noch eine Eisenbahnstrecke, die Tendabahn, mit ihren vielen Ingenieursbauten durch das Tal.

In der Recherche zur Streckenplanung hatten wir zuvor schon gelesen, daß dieses Tal 2020 von verheerenden Unwettern heimgesucht worden war. Entsprechend wurden Autofahrer auch vor langen Wartezeiten an den zahlreichen Baustellenampeln gewarnt. Und in der Tat sahen wir unterwegs gefühlt mehr Baufahrzeuge als alles andere: Das gesamte Tal ist derzeit eine einzige Baustelle, auf der fortgeschwemmte Straßenabschnitte und zerstörte Brücken wieder neu aufgebaut werden müssen. Mit unseren etwas robusteren Reifen kommen wir an den Baustellen ganz gut durch, auch auf dem oberen Schotterpistenstück bewähren sie sich. Schon im unteren Teil des Tales waren gelegentlich alte Bunker aus früheren Zeiten aufgefallen. Ganz oben auf dem Kamm steht weithin sichtbar das Forte Centrale, eine massive ehemalige Bunkeranlage aus dem ersten Weltkrieg. Sie war gemeinsam mit anderen Forts nur ein Teil einer ganzen Bunkerkette, die schon vor 1900 gebaut wurde und heute noch an den damaligen Wahnsinn mahnt.

Im kalten Wind auf der Passhöhe bleiben wir nicht lange und fahren auf der italienischen Seite wieder ab, wo es schnell wieder sommerlich warm wird. Noch gute 70 Kilometer legen wir zügig bis Frassino zurück, auf denen es weitgehend flach oft durch Obstplantagen geht. Die 3.000er Berge vom Anfang unserer Tour rücken näher und nach einer letzten Pause an einem Laden sind die restlichen Kilometer schnell vorbei - das wars.

Bei Alberto wollen wir nicht noch mal übernachten und nach kurzer Zeit steht fest, daSS wir gleich die Rückreise nach Sachsen antreten: beim Fahren können wir uns häufig genug abwechseln. Wir fahren aber nicht los, ohne zuvor noch mal in einer urigen echten Pizzeria reinzuschauen, um dann arrivederci zu diesem schönen Land zu sagen.

Euer Martin M.

Fotos: Michael Bärisch & Theo Zahn

// zum Album in der Galerie

// #1. Etappe: Frassino - Barcelonnette (zur Strecke auf Komoot)

// #2. Etappe: Barcelonnette - La-Palud-Surd-Verdon (zur Strecke auf Komoot)

// #3. Etappe: La-Palud-Surd-Verdon - La-Roque-En-Provence (zur Strecke auf Komoot)

// #4. Etappe: La-Roque-En-Provence - Isolabona (zur Strecke auf Komoot)

// #5. Etappe: Isolabona - Isolabona (zur Strecke auf Komoot)

// #6. Etappe: Isolabona - Frassino (zur Strecke auf Komoot)

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